Das traumatisierte Hirn

Die Entwicklung des Gehirns

Es gibt verschiedene Möglichkeiten die Bereiche des Gehirns einzuteilen. Ich verwende hier die Einteilung in

  • das Reptilienhirn (Hirnstamm)
  • das limbische System (Säugergehirn)
  • der Neokortex (Großhirnrinde)

Analog zur Entwicklung in der Evolution vom Reptil über den Vogel und dem Säugetier zum Menschen entwickelt sich das Gehirn beim Menschwerden von der befruchteten Eizelle zum Erwachsenen. Zuerst entsteht das sogenannte Reptilienhirn für die Überlebensfunktionen. Anschließend entwickelt sich das limbische System als Sitz für die Emotionen. Als letztes wird für das rationale Denken der Neokortex mit den Frontallappen gebildet.

Das Reptiliengehirn

Das Reptiliengehirn ist der älteste und tiefliegenste Teil des menschlichen Gehirns und wird auch als Hirnstamm bezeichnet. Es befindet sich unmittelbar über dem Punkt, an dem das Rückenmark in den Schädel eintritt. Dieses ist der primitivste Teil des Gehirns und bereits zum Zeitpunkt der Geburt voll funktionsfähig. Hier werden die vegetativen, d. h. unbewussten lebenserhaltenden Funktionen geregelt: Verdauung, Atmung, Herzaktivität und das endokrine System. Außerdem werden Hunger, Temperatur und Schmerz wahrgenommen.

Das limbische System

Inzwischen weiß man, dass die Strukturen des limbischen Systems für die Verarbeitung von Emotionen, für Lernen und Erinnerung eine große Rolle spielen – aber keine ausschließliche. Es befindet sich unmittelbar über dem Reptilienhirn und besteht unter anderem aus Teilen des Thalamus, der Amygdala und dem Hippocampus. Es wird auch Säugerhirn genannt, da es allen Säugetieren gemein ist. Es entwickelt sich größtenteils erst nach der Geburt in Abhängigkeit von genetischen Anlagen und Reaktionen auf Erlebten. Hier wird bewertet, ob etwas im Außen angenehm oder lästig ist, ob es eine Gefahr darstellt und was im Interesse des Überlebens wichtig oder unwichtig ist.
Hier werden auch Entscheidungen gefällt, wie der Mensch sich im komplexen sozialen Netzwerk verhält.

Der Neokortex

Die zellulare Organisation und die Biochemie der beiden oben genannten Teile sind einfacher als die des Neokortex. Ab dem zweiten Lebensjahr entwickeln sich die Frontallappen, die uns von allen anderen Säugetieren unterscheiden. Diese ermöglichen uns eine Sprache zu benutzen und abstrakt zu denken, riesige Mengen an Informationen aufzunehmen und mit ihnen einen Sinn zu verbinden sowie zu planen und zu reflektieren.

Funktionsunterschiede

Aufgrund der einfacheren Bauart des Reptilien- und Säugerhirn entscheidet es globaler aufgrund von Ähnlichkeiten. So sorgt es zum Beispiel dafür, dass man zurück schreckt wegen einer vermeintlichen Schlange auf dem Fußboden. Während der etwas langsamer arbeitende Neokortex die Erscheinung genauer analysiert und auf Grundlage eines Abgleichs mit komplexen Kategorien entscheidet, dass es sich nur um ein harmloses aufgerolltes Seil handelt. Der Neokortex wäre zu langsam für Flucht- oder Kampfreflexe. Solche muskulären und physiologischen Reaktionen erfolgen automatisch aus dem primitiveren Teil unseres Gehirns.

Identifizieren von Gefahren

Sensorische Informationen aus der Außenwelt wie sehen, hören und fühlen werden im Thalamus gefiltert und die wichtigsten werden über zwei Wege weitergeleitet. Zum einen gelangen sie zur Amygdala, dem Mandelkern. Hier wird sehr schnell und automatisch entschieden, ob der Sinneseindruck eine Gefahr darstellt. Dazu gleicht der Hippocampus die neue Information mit Bekanntem, also früheren Erlebnissen, ab.
Wird eine Gefahr erkannt, so werden augenblicklich über den Hypothalamus und dem Hirnstamm die Stresshormonproduktion (Kortisol und Adrenalin) und das autonome Nervensystem (Herzschlag, Blutdruck und Atemfrequenz steigt) aktiviert, damit sie eine Reaktion des gesamten Körpers initiieren und ihn so für Kampf oder Flucht vorbereiten. Das bedeutet, der sympathische Zweig des Nervensystems wurde aktiviert.
Zum anderen werden die Informationen vom Thalamus über den Hippocampus zum Neokortex – genauer zum medialen Präfrontalkortex -geleitet, wo eine bewusste und detaillierte Deutung stattfindet. Dieser Weg ist einige Mikrosekunden langsamer als der reflexartige über die Amygdala. Rauch wird zum Beispiel über die Amygdala als Gefahr gedeutet wird, weil das Haus in Flammen stehen könnte. Die Alarmsysteme im Körper werden augenblicklich gestartet. Dann greift erst der Neokortex, der detaillierter analysiert und erkennt, dass es nur das Steak in der Pfanne ist. Dann wird der Alarm im Körper vom Parasympathikus abgeschaltet und er kann sich wieder entspannen.

Gefahren beim traumatisierten Hirn

Bei einem traumatisierten Hirn, also zum Beispiel einer PTBS – Posttraumatischen Belastungsstörung – verändert sich die Balance zwischen der Amygdala und des medialen Präfrontalkortex (MPFK) immens. Dadurch wird es wesentlich schwieriger die eigenen Emotionen und Impulse unter Kontrolle zu bekommen. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei starken Emotionen die Aktivitäten im MPFK verringert werden. Somit wird die hemmende Funktion des rationalen Hirns ausgeschaltet. Sie können dann bei jedem lauten Geräusch erstarren, wie es bei einigen Kriegsveteranen der Fall ist. Es kann reale Gefahren nicht mehr einschätzen und jeder Rauchgeruch führt zur Panik, weil das Haus in Flammen stehen könnte. Oder wir bekommen nicht mehr mit, ob das Gegenüber wütend ist. So sind wir ständig in Angst, der andere könnte uns hassen.
Der Parasympathikus greift nicht mehr und der Mensch ist in Dauererregung.

Das Gehirn beim Flashback

Ein Scan des Hirns beim Wiedererleben eines Traumas zeigt eine sehr aktive Amygdala, d.h. sie kann nicht zwischen Gegenwart und Vergangenheit unterscheiden. Sie wurde so aktiviert, als fände das traumatische Ereignis jetzt statt. Außerdem sind der rechte und linke dorsolaterale Präfrontalkortex inaktiv, also die Bereiche im Neokortex, die für das Zeitempfinden zuständig sind. Man ist also im Augenblick gefangen ohne eine Idee von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu haben. Das Wissen, dass alles was passiert früher oder später enden wird, macht das Erlebnis erträglich. Beim traumatisierten Menschen geht dieses Wissen verloren und das Erlebnis wird so unerträglich.
Der Thalamus wird beim Flashback genauso abgeschaltet wie beim traumatischen Erlebnis.  Unter normalen Umständen fungiert er als Filter und stellt so eine zentrale Komponente zu Aufmerksamkeit und Konzentration sowie dem Erlernen von Neuem dar. Bei Menschen mit PTBS funktioniert der Wahrnehmungsfilter nicht mehr richtig und sie befinden sich in einem Zustand ständiger Reizüberflutung. Oft verschließen sich die betroffenen Menschen und es wird ein Tunnelblick und eine Hyperfokussierung entwickelt, um die Reize einzudämmen. Das tragische ist, dass bei diesem Sich-Verschließen auch die Quellen der Freude ausgegrenzt werden.

Dissoziation oder Depersonalisation

Wenn dem Hirn alles zu viel wird, hat es die Möglichkeit ‚auszusteigen‘. Es wird inaktiv und der betroffene Mensch fühlt nichts mehr. Es fühlt sich an, als ob der Körper verlassen wurde. Ausdrucksloser Blick und Geistesabwesenheit begleiten dieses Phänomen. So manifestiert sich die Erstarrungsreaktion. Depersonalisation ist ein Symptom massiver Dissoziation, zu der es durch traumatische Erlebnisse kommt, wenn Kampf und Flucht nicht möglich sind.

Regulation des Gefahrenwarnsystems

Es gibt zwei Möglichkeiten die Balance zwischen den Funktionen der Amygdala und des medialen Präfrontalkortex wieder herzustellen, Bottom-Up oder Top-Down.

Bottom-Up: Hier wird vom Hirnstamm aus das autonome Nervensystem modifiziert über Atmung, Berührung und Bewegung. Die Atmung ist eine der wenigen Körperfunktionen, die sowohl bewusst gesteuert als auch autonom beeinflusst werden. Es zielt also darauf, die Physiologie des Menschen, seine Beziehung zu seinen Körperempfindungen zu verändern.

Top-Down: Bei dieser Methode wird die Fähigkeit Körperempfindungen vom Neokortex aus zu beobachten, gestärkt. Dazu sind unter anderem Yoga, Qigong und Meditation von Nutzen.

Was ich für Sie tun kann

Da bei dissoziierten Menschen praktisch das ganze Gehirn abgeschaltet ist, können traumatisierte Menschen nicht denken, sie spüren keine tiefen Gefühle, erinnern sich nicht und können dem was geschieht, keinen Sinn abgewinnen. In diesem Fall ist eine ‚Redetherapie‘ im herkömmlichen Sinne ziemlich nutzlos.
Egal ob Sie eher zum Dissoziieren neigen und Ihnen die Bottom-Up-Regulation hilft oder Sie unter Flashbacks leiden und die Top-Down-Regulation für Sie die richtige ist, mit den von mir praktizierten Methoden Qigong, Bodynamic und Somatic Experiencing kann ich Sie hervorragend unterstützen.