Grundsätzliches
Bei der Arbeit mit den Auswirkungen von Traumata ist es sehr hilfreich, die Funktionsweise des autonomen Nervensystems, des Sympathikus und Parasympathikus, zu kennen. Die Polyvagal-Theorie von Stephen Porges hat hier einen erheblichen Beitrag geleistet, einige physiologische Reaktionen zu beleuchten, die bei traumatischen Stress auftreten können. Ganz besonders, wenn diese Zustände über viele Jahre und Jahrzehnte in Schach gehalten werden müssen. Ich gehe erst auf die Entdeckungsgeschichte ein, bevor ich die Dreiteilung der Regelkreise vertiefe.
Charles Darwin
Darwin beobachtete, dass Menschen und Säugetiere einige Instinkte gemeinsam haben. Auch haben nach Darwin alle die gleichen Sinneseindrücke und Empfindungen, ähnliche Leidenschaften, Affekte und Erregungen, selbst die komplexeren wie Eifersucht, Verdacht, Ehrgeiz, Dankbarkeit und Großherzigkeit. (Aus ‚Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen‘ von Charles Darwin). Bei uns sträuben sich noch die Haare, wenn wir Angst haben und wir zeigen, blecken die Zähne, wenn wir wütend sind.
Emotionen sind unentbehrlich, weil sie die Motivation zu einer Handlung beinhalten. Sie geben unserem Handeln Form und Richtung und kommen primär durch Muskeln im Gesicht und im ganzen Körper zum Ausdruck. Wut ist ein Anzeichen, dass die eigenen Grenzen verletzt wurden und sorgt dafür, dass das Gegenüber eher in Distanz geht. Hingegen weckt der Gesichtsausdruck und die Körperhaltung eines traurigen Menschen die Hilfsbereitschaft und die Fürsorge bei den Mitmenschen.
Die verschiedenen Emotionen drücken sich nicht nur im Gesicht und in der Körperhaltung aus, sondern auch über das autonome Nervensystem – das Darwin noch pneumogastrischen Nerv nannte – im Bauch (Darm), Herzen und in der Lunge.
Polyvagal-Theorie nach Stephen Porges
Stephen Porges forscht am Kinsey Institute, Indiana University Bloomington und ist Professor für Psychiatrie an der University of North Carolina in Chapel Hill in North Carolina. 1994 stellte er die Polyvagal-Theorie vor, die auf Darwins Entdeckungen basiert. Früher ging man nur von einem in Sympathikus und Parasympathikus zweigeteiltem System aus. Porges‘ Theorie liegt ein 3-stufiges, in einer evolutionären Hierarchie entwickeltes, adaptives System zugrunde. Adaptiv heißt, dass ein Lebewesen sein Verhalten an die Umwelt anpassen kann, um im Kontakt mit anderen bleiben zu können und damit Fortpflanzungsfähig ist. Hier spielt der Vagus, der zehnte Hirnnerv – der pneumogastrische Nerv gemäß Darwin – eine maßgebliche Rolle.
Die drei Teile sind:
- Das ventralen Vagussystem als Teil des parasympathischen Nervensystems mit dem Social Engagement System (SES)
- Das sympathische Nervensystem
- Das dorsale Vagussystem als Teil des parasympathischen Nervensystems
Ventral bedeutet „den Bauch betreffend“, also zur Vorderseite des Körpers.
Dorsal bedeutet „den Rücken betreffend“, also zur Rückseite des Körpers.
Das Social Engagement System (SES) mit dem ventralen Vagussystem
Die Fähigkeit, sich in Gegenwart anderer Menschen sicher zu fühlen, ist wohl der wichtigste Aspekt psychischer Gesundheit. Sichere Beziehungen sind für ein sinnvolles und befriedigendes Leben wahrscheinlich unerlässlich. Soziale Unterstützung ist der wirksamste Schutz gegen die schädlichen Auswirkungen von Stress und Traumata.
Der ventrale Vaguskomplex ist das evolutionär jüngste System, um auf die Umwelt zu reagieren und existiert nur bei Säugetieren. Es werden von diesem neben Herz und Lunge sowohl die Gesichtsmuskeln als auch die Kehlkopfmuskeln, die für die Stimme benötigt werden, innerviert. Diese Nerven sind myelinisiert, damit werden die Reize schneller weitergeleitet und ermöglichen so eine schnelle Kommunikation über Gesichtsausdruck und Stimme. Falls wir Furcht beim Mitmenschen in der Mimik oder der zittrigen Stimme wahrnehmen, wird unser Alarmsystem aktiviert. Andererseits kann unser System wieder entwarnen und runter regulieren, wenn wir aus dem Umfeld neutrale und zuversichtliche Stimmungen wahrnehmen. So hat man in einem Versuch ein kleines Kind über einer Glasscheibe krabbeln lassen. Wenn die Mutter im Raum war und Sicherheit ausgestrahlt hat, ist das Kleinkind ohne Probleme über den vermeintlichen Abgrund gekrabbelt. War die Mutter aber ängstlich, hat sich das Kind auch nicht getraut.
Mit Hilfe verschiedener Übungen mit Gesichtsmuskeln, Atmung und Stimme kann man einen traumatisierten Menschen aus der Erstarrung helfen.
Das sympathische System
Das sympathische System bereitet uns aufs Handeln vor, indem die Muskeln aktiviert werden. Es versetzt uns also in die Lage, zu kämpfen oder fliehen. Zum sympathischen Kreislauf gehören die Nebennieren zur Produktion der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin bei kurzfristigem und Kortisol bei langfristigem Stress. Diese machen uns zum einen leistungsfähiger, zum anderen schmerzunempfindlicher. Die Herzschlagfrequenz und die Bronchien werden aktiviert sowie die Schweißproduktion. Dafür wird das Verdauungssystem runtergefahren, um die Energie zu sparen, die für die Muskeln benötigt wird. Dieses Nervensystem ist myelinisiert, da wir schnell auf Kampf oder Flucht vorbereitet sein müssen. Wenn es erregt wurde, braucht dieses System Zeit, um wieder den Ruhezustand zu erreichen.
Das dorsale Vagussystem
Aus dem dorsalen motorischen Nucleus entspringt außerdem ein nicht myelinisierter Zweig des Vagusnervs, der die Organe unterhalb des Zwerchfells versorgt und außerdem noch Abzweigungen zum Herzen aufweist. Evolutionär ist dieser Teil deutlich älter als der ventrale Zweig. Falls keine Gefahr droht, ist er auch für wunderbare gute Gefühle zuständig. Über die Regulation der Bauchorgane sorgt er dafür, dass wir uns behaglich und wohl fühlen. Er steigert tiefe Entspannung. Er verursacht aber auch Erbrechungs- und Durchfallanfälle, um Gifte auszustoßen.
Wenn eine Gefahr droht und die beiden oberen Systeme nicht geholfen haben, diese abzuwenden, folgt die Erstarrung, die Immobilität wie beim Kaninchen vor der Schlange.
Zur chronische Abschaltung kommt es, wenn das System im Erstarrungsmodus feststeckt. Dieses Zumachen durch den dorsalen Vagus wird durch Angst noch gefördert. Es ist also ein Produkt aus Angst mit Immobilität gekoppelt.
Wie ich Sie unterstützen kann
Je nachdem wie sich die Auswirkungen der traumatischen Ereignisse zeigen, kann ich Sie mit Gesprächstherapie unterstützen, über sicheren Kontakt mit dem Craniosacralsystem beruhigend auf Ihr System wirken, über Übungen aus dem Qigong tiefe Entspannung erzeugen, mit Hilfe verschiedener Muskelübungen aus Bodynamic Syndrome bezüglich Muskeln und Gelenke positiv beeinflussen oder über die Körperwahrnehmung mit Techniken aus Somatic Experiencing die Symptome der Traumata nachhaltig bearbeiten.